dodis.ch/39285 Aufzeichnung des stv. Chefs des politischen Diensts Ost des Politischen Departements, K. Fritschi1

BESPRECHUNG VOM 1. MÄRZ 1973 ÜBER DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER SCHWEIZ UND NORDKOREA

1. Schneller als noch vor kurzem aufgrund von Aussagen von seiten des Aussenministeriums in Stockholm erwartet werden konnte, ist Schweden entschlossen, Nordkorea zu anerkennen. Der schwedische Aussenminister2 wird gemäss Bericht3 unserer Botschaft wahrscheinlich in der aussenpolitischen Debatte vom 21. März im Reichstag die Absicht der Regierung bekannt geben, diesen Schritt zu vollziehen, das Datum indessen offenlassen. Schweden möchte sich an der Osloer Aussenministerkonferenz vom 28. März mit seinen skandinavischen Partnern in dieser Sache beraten und, wenn immer möglich, darüber verständigen. Stockholm trägt sich mit der Hoffnung, kleinere Länder ebenfalls für seinen Plan zu gewinnen, um auf diese Weise die Schockwirkung auf die Vereinigten Staaten abzuschwächen. Schweden sieht vor seiner Anerkennung von Nordkorea keine Orientierung der Vereinten Nationen vor und gedenkt, weiterhin Mitglied der Neutralen Überwachungskommission in Panmunjom (NNSC) zu bleiben4.

Angesichts der schweizerischen Mitgliedschaft in der NNSC hat sich Schweden stets bereitgefunden, mit uns Konsultationen über Fragen zu pflegen, welche Korea betreffen5. Der Generalsekretär des schwedischen Aussenministeriums, Sverker Aström, wird am kommenden 12. März Bern einen Besuch abstatten6. Wichtig ist, dass wir gegenüber dem Vorprellen Schwedens eine klare Haltung der Schweiz im Hinblick auf diesen Besuch festlegen.

Hinzu kommt, dass Botschafter Natural nach seiner Rückkehr nach Peking sich am 19. März nach Pyongyang begeben wird7. Voraussichtlich Ende März wird zudem der nordkoreanische Botschafter in Warschau, Kim Hi Sum, nach Bern kommen8.

2. Die süd-nordkoreanische Übereinkunft vom 4. Juli 1972, der schon Kontakte zwischen den beiden nationalen Rotkreuz-Gesellschaften vorausgingen, hat den Beifall Chinas gefunden. Gegenüber den Aussichten einer Annäherung zwischen dem Süden und dem Norden Koreas zeigte sich hingegen Pyongyang äusserst zurückhaltend9. So konnte eine unterschiedliche Beurteilung einer solchen Entwicklung im Verhältnis beider Teile des Landes zueinander anlässlich der Besuche des chinesischen Aussenministers10 in Nordkorea und seines nordkoreanischen Kollegen11 in China festgestellt werden. Peking hat sich schliesslich in dieser Sache Pyongyangs Stillschweigen ebenfalls zu eigen gemacht.

Die selbe Zurückhaltung ist auf seiten Südkoreas zu beobachten (vgl. die Berichte unseres in Seoul akkreditierten Botschafters12 und die Aktennotiz vom 13. Juli 197213 über die Vorsprache des hiesigen südkoreanischen Botschafters14).

Der Hauptgrund des koreanischen Misstrauens ist in der Entwicklung des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses zu finden. Vor kurzem wurde der amerikanische Präsidentenberater, Kissinger, von Mao höchstpersönlich zu einem Gespräch empfangen, das volle zwei Stunden dauerte, was als aussergewöhnlich angesehen werden muss und sehr auffällig ist. Dies beunruhigt Nordkorea wie übrigens auch Nordvietnam15. (An Empfängen des nordkoreanischen Botschafters16 in Peking wird neuerdings der Film über die Pueblo-Affäre17 gezeigt).

3. Dieser Stand der Dinge hat keinen unmittelbaren Einfluss auf unser Verhältnis zu Nordkorea. So bestehen etwa in Peking zwischen unserem und dem nordkoreanischen Botschafter gute persönliche Beziehungen. Tatsächlich gibt es auf bilateraler Ebene keine strittigen Fragen. Unser Vertreter in China ist denn auch nach Pyongyang eingeladen worden; solche Einladungen sind im übrigen auch an seine Kollegen anderer Länder (Schweden, Norwegen, Libanon18 u.a.m.) ergangen.

Nordkorea ist der letzte geteilte Staat, den wir noch nicht anerkannt haben19. Dies scheint heute kaum mehr gerechtfertigt. Wenn wir uns bis anhin namentlich wegen der DDR in Zurückhaltung übten, so entfällt dieser Grund in Zukunft ganz20.

Wenn nun der koreanische Wiedervereinigungsprozess voranginge und mit seinem Abschluss zu rechnen wäre, so würde sich das Problem auch unseres Verhältnisses zu den beiden Teilen Koreas von selbst lösen. Dies dürfte indessen, wenn überhaupt, für lange nicht der Fall sein.

Verschiedene Gründe sprechen allerdings vorderhand dagegen, dass die Schweiz die Anerkennung von Nordkorea vollzieht. Die wichtigsten, die hier Erwähnung verdienen, sind die folgenden:

Als Mitglied der NNSC haben wir das politische Gleichgewicht in Betracht zu ziehen, das in dieser Kommission besteht21. Zwar kann man sich die Auflösung dieses Gremiums vorstellen, wenn ein entsprechender Vorstoss von China und anderer kommunistischer Staaten in der UNO erfolgreiche Unterstützung fände: aber die Vereinten Nationen sind in Korea nicht alleinige Partei; die Weltorganisation vermag nicht einseitig zu handeln, ohne dass dies nachteilige Rückwirkungen auf das Waffenstillstandsabkommen und damit auf eine künftige Regelung der Korea-Frage haben würde.

Ferner gilt es die Auswirkungen auf unser Verhältnis zu Südkorea zu erwägen, wenn die Schweiz Nordkorea anerkennen sollte. So sind etwa unsere wirtschaftlichen Interessen im Süden ungleich gewichtiger als im Norden22.

Schliesslich ist zu bedenken, dass Schweden mit seiner Anerkennung von Nordkorea nicht bloss das politische Gleichgewicht in der NNSC stört und gefährdet, sondern dass Stockholm es damit gleichzeitig einmal mehr in Kauf nimmt, die Vereinigten Staaten vor den Kopf zu stossen. Wir haben keinerlei Anlass, hier zu unserem Nachteil antiamerikanische Schützenhilfe zu leisten.

4. Im Jahre 1969 hat eine schweizerische Delegation unter der Leitung von Botschafter Probst mit Vertretern der nordkoreanischen Aussenhandelsorganisation eine Verständigung getroffen, um letzterer auf Handelskammer-Ebene die Errichtung einer privatrechtlich etablierten Vertretung in Zürich zu ermöglichen23. Trotz verschiedener nordkoreanischer Vorstösse ist dieses Vorhaben daran gescheitert, dass Pyongyang die ursprünglich abgemachte Reziprozitätserklärung nicht abgeben und seiner Vertretung einen offiziellen Anstrich geben wollte.

Der Frage der Reziprozität kommt für uns auch in Zukunft prinzipielle Bedeutung zu; sie würde indessen keine praktische Rolle spielen, weil wir fürs nächste keine Veranlassung hätten, in Nordkorea eine schweizerische Handelsvertretung zu eröffnen. Hingegen kann unter den heute gegebenen Umständen erwogen werden, den Handelsschleier etwas zu heben, mit dem die Vereinbarung von 1969 umgeben wurde. Zur Diskussion steht eine offizielle Handelsmission nach dem Vorbild unserer Vereinbarung vom 12. Juli 1972 mit der DDR24, eine Verständigung, die keine schweizerische Anerkennung von Nordkorea implizieren würde.

Diese Lösung hätte den Vorteil, dass sie eine günstige Ausgangslage für eine später mögliche schweizerische Anerkennung von Nordkorea schaffen würde, ohne dabei den status quo zu ändern, solange die NNSC im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens in Korea tätig ist. Ein solcher Schritt liesse sich gerade im Falle eines schwedischen Vorprellens sowohl gegenüber Washington, das sich in Asien noch mit schwierigen Problemen konfrontiert sieht, wie gegenüber Seoul zusätzlich rechtfertigen. Wichtig erscheint dabei nicht zuletzt auch, was andere Staaten, die sich mit der Schweiz vergleichen lassen, tun und noch tun werden, weil davon die Konzessionsbereitschaft Pyongyangs ebenfalls abhängen wird. Alles in allem genommen, es scheint angezeigt, ohne Hast zu handeln.

Es geht somit zunächst darum, bei der nordkoreanischen Seite im angegebenen Sinne behutsam zu sondieren. Anknüpfungspunkt bildet dabei die Verständigung von 1969, Ziel ist eine Lösung in der Art unserer erwähnten Vereinbarung mit der DDR, die schrittweise angestrebt werden kann25. Botschafter Natural wird darüber das Gespräch in Pyongyang gestützt auf die gemachten Überlegungen eröffnen und die nordkoreanischen Bemerkungen und Vorschläge ad referendum entgegennehmen. Gelegenheit zur Fortsetzung der Diskussion wird der vorgesehene Berner Besuch des nordkoreanischen Botschafters in Warschau bieten. Schliesslich sind die vorstehenden Ausführungen wegleitend für das bevorstehende Gespräch mit dem Generalsekretär des schwedischen Aussenministeriums.

5. Für den Fall der schwedischen Anerkennung von Nordkorea lautet unser Kommentar bei Anfragen wie folgt:

Die Schweiz beabsichtigt zurzeit nicht, Nordkorea zu anerkennen. Unsere Beziehungen zu Pyongyang werden geprüft. So hat sich der schweizerische Botschafter in Peking im Rahmen der bestehenden informellen Kontakte nach der nordkoreanischen Hauptstadt begeben.

1
Aufzeichnung: CH-BAR#E2001E-01#1987/78#2400* (B.15.11.1). Anwesend: E. Thalmann, R. Bindschedler, A. Natural, H. Miesch, R. Probst, P. Thévenaz, F. Pictet, P. Erni, L. Burckhardt und K. Fritschi.
2
K. Wickman.
3
Telegramm Nr. 45 der schweizerischen Botschaft in Stockholm an das Politische Departement vom 27. Februar 1973, Doss. wie Anm. 1.
4
Für die Rolle der Vereinten Nationen in der Korea-Frage vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 12, dodis.ch/40106.
5
Vgl. z. B. DDS, Bd. 25, Dok. 152, dodis.ch/35835.
6
Vgl. dazu die Notiz von K. Fritschi vom 12. März 1973, dodis.ch/39297.
7
Vgl. dazu das Schreiben von A. Natural an E. Thalmann vom 3. April 1973, dodis.ch/39299 und die Notiz von A. Natural vom 3. April 1973, dodis.ch/39301.
8
Für die Verhandlungen im Juli 1973 über die Errichtung von Handelsmissionen vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 91, dodis.ch/39265, Anm. 3 und 4.
9
Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 152, dodis.ch/35835.
10
Chi Peng-fei.
11
Ho Dam.
12
G. E. Bucher. Vgl. dazu das Schreiben von G. E. Bucher an E. Thalmann vom 11. Oktober 1972, dodis.ch/36015; den Politischen Bericht Nr. 35 von G. E. Bucher an P. Graber vom 16. Oktober 1972, CH-BAR#E2300-01#1977/29#76* (A.21.31) sowie Doss. CH-BAR#E2001E-01#1982/58#2684* (B.15.11.1).
13
Notiz von K. Fritschi vom 13. Juli 1972, CH-BAR#E2001E-01#1982/58#2684* (B.15.11.1).
14
Kang Moon Bong.
15
Vgl. dazu das BR- Prot. Nr. 17 vom 10. Januar 1973, dodis.ch/39154.
16
Hyun Jun Keuk.
17
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 158, dodis.ch/33139, Anm. 10.
18
A. Björnberg, P. G. Ravne und É. Boustany.
19
Zur Frage der geteilten Staaten vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 43, dodis.ch/31039; DDS, Bd. 24, Dok. 127, dodis.ch/32173; DDS, Bd. 25, Dok. 4, dodis.ch/35862, sowie DDS, Bd. 26, Dok. 123, dodis.ch/35861.
20
Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Schweiz mit der DDR vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 179, dodis.ch/34372.
21
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 91, dodis.ch/39265.
22
Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 38, dodis.ch/35601, Punkt 6. Zu den Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz mit Südkorea vgl. ferner DDS, Bd. 25, Dok. 153, dodis.ch/35785; das Schreiben von K. Jacobi an J. P. Lustenberger vom 18. März 1974, dodis.ch/39260; das Schreiben von J. P. Lustenberger an E. Thalmann vom 28. Oktober 1974, dodis.ch/39257; das Schreiben von R. Probst an J. P. Lustenberger vom 13. Februar 1975, dodis.ch/39259 sowie die Notiz von M. Krell vom 22. August 1975, dodis.ch/39262.
23
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 169, dodis.ch/33133.
24
Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 179, dodis.ch/34372, Anm. 7.
25
Zur weiteren Entwicklung dieser Angelegenheit vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 91, dodis.ch/39265 sowie DDS, Bd. 26, Dok. 127, dodis.ch/39246.