dodis.ch/38893 Der schweizerische Botschafter in Addis Abeba, H. Langenbacher, an den Direktor der Direktion für internationale Organisationen des Politischen Departements, R. Keller1

BEZIEHUNGEN SCHWEIZ–SÜDAFRIKA; UNO-DOKUMENT

Ihre Umfrage vom 15. Juli 19742 beantworte ich aus der Sicht von Addis Abeba wie folgt:

1. Vorerst möchte ich das Vorgehen skizzieren, das ich bisher in hiesigen Kreisen angriffiger Schwarz-Afrikaner beobachtet habe:

Was für die Neutralität oder die Nichtmitgliedschaft bei der UNO gilt, gilt auch für unser Verhältnis zu Südafrika: man sollte nicht zu viel darüber sprechen und nur dazu Stellung nehmen, wenn man darauf angesprochen oder herausgefordert wird.

Abgesehen von der Erläuterung der Grundzüge unserer Haltung – Universalität, Handelsfreiheit usw. – versuche ich im Gespräch stets Gegengewichte gegenüber den bekannten Vorwürfen einer zynischen Business-Politik der Schweiz zu setzen: Hinweise auf die offizielle moralische Verurteilung, auf die lebhafte und offene Diskussion des Problems in der schweizerischen Öffentlichkeit, auf die militante Haltung der Kirche, auf die aufgeschlossene, teilweise pionierhafte Haltung schweizerischer Unternehmen, etwa in ihrer Personalpolitik, in Südafrika; aber auch Hinweise auf unsere humanitäre- und Entwicklungshilfe, unsere Handelsbeziehungen zu Schwarz-Afrika, unsere Mitarbeit bei FAD und BAD3 usw. sind nützliche Instrumente der Überzeugung. Durch praktische gezielte Aktionen – wie etwa die Finanzierung eines OAU-Flüchtlings-Seminars4 – verstärkt, vermögen sie ein ausgewogeneres Bild der Schweiz zu geben und waren bisher insofern erfolgreich, als uns die OAU in den vergangenen vier Jahren kein einziges Mal mehr öffentlich angegriffen hat.

Anderseits sehe ich meine Aufgabe aber auch darin, Ihnen die Informationen zu vermitteln, die Ihnen ermöglichen, ein Gegengewicht gegenüber Handel und Industrie zu schaffen, die unsere Afrika-Politik – wie ich aus meiner Zentrale-Zeit her weiss – unter hartem Druck halten und oft das langfristige, allgemeine schweizerische Interesse vernachlässigen.

Die Urteile, die ich von wohlmeinenden afrikanischen Gesprächspartnern immer wieder höre, weisen klar auf zwei «Schwächen» unserer Südafrika-Politik5 hin: zum ersten, dass unsere Betrachtungsweise, aus der Sicht unserer Wirtschaft, oft allzu einseitig ökonomisch und allzu kurzfristig ist, und zum zweiten, dass wir uns nicht immer Rechenschaft geben, wie gross die politischen Risiken sein können, die sich aus dem wirtschaftlichen Verhalten in einer Zeit ergeben, in der Politik und Wirtschaft von Jahr zu Jahr enger verknüpft (um nicht zu sagen «verfilzt») sind. Es würde sich zweifellos lohnen, unsere Neutra litätspolitik mit Blick auf Australafrika und im sich verstärkenden Spannungsfeld zwischen Nord und Süd wieder einmal unter die Lupe zu nehmen.

2. Das UNO-Dokument von Gilbert Rist6 ist hier – soweit einige wenige Kommentare aus der OAU zeigen – natürlich gut aufgenommen worden. Rist, dem ehrliches Bemühen um Objektivität bescheinigt wird, hat in militanten Kreisen, indem er «die andere Glocke» erklingen lässt, zweifellos einen Punkt für die Schweiz gebucht. Er versucht in seinem Dokument, bei aller Kritik, den schweizerischen Standpunkt (wie etwa das Spannungsfeld zwischen Neutralität und liberalen Handelsstrukturen) verständlich zu machen. Das Papier zeigt aber auch, dass in der Schweiz das Problem der Apartheid zur Diskussion steht7, was hier ebenfalls stets mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen wird. Es illustriert im übrigen, wie schon das Buch von «Tiers-Monde»8, die freie Gesellschaft.

Das Dokument Rists hat somit, bei aller Kritik, auch einen positiven fallout. Es schafft ebenfalls ein Gegengewicht und balanciert – wie die ersten Reaktionen etwa in der OAU zeigen – die «Sünden» unserer Industrie und unseres Handels in Südafrika aus.

Was die Kritik Rists angeht, darf deren Wirkung nicht dramatisiert werden. UNO-Papiere dieser Art werden, quasi als weiterer Diskussionsbeitrag, in Afrika von einer relativ kleinen Gruppe Leute zur Kenntnis genommen. Im übrigen gilt hier auch, was für Resolutionen der OAU gilt: die bilateralen Interessen im Verhältnis zu unserem Lande gehen vor.

Im Vergleich zur Publikation «Suisse – Afrique du Sud»9, an der Rist ja ebenfalls mitgearbeitet hat, ist zu bemerken, dass uns solche Veröffentlichungen – an den registrierten Reaktionen gemessen – mehr schaden als das vor liegende UNO-Dokument. (Ich habe seinerzeit in einem persönlichen Schreiben an Pfarrer Lukas Vischer vom Weltkirchenrat zu dieser Publikation Stellung genommen. Für alle Fälle lege ich eine Kopie dieses Schreibens bei – Beilage Nr. 110.)

3. Ich werde von Anti-Apartheid- oder kirchlichen Kreisen gerne als offizielles «Paradepferd» präsentiert – mit sorgfältig herausgepickten Zitaten aus meinen Bundesfeier-Reden 197111 und 197212, so auch hier auf Seite 3. Ich stehe zu diesen Zitaten auch heute noch, und die sich abzeichnende Entwicklung in Australafrika bestärken meine Überzeugung von der Richtigkeit dieser Haltung. Wir müssen uns im Interesse unserer Glaubwürdigkeit, mit Blick auf unsere langfristigen Interessen, um eine besser ausbalancierte Afrika-Politik bemühen.

Anderseits muss ich aber gleich beifügen, dass diese willkürlich herausgepickten Zitate doch ein einseitiges Bild meines Konzeptes geben. Es finden sich in diesen Reden auch andere Ideen, wie etwa – im Zusammenhang mit unseren freiheitlichen Gesellschaftsstrukturen: «Die schweizerische Privatwirtschaft, unsere Industrie und unsere Banken, haben immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie sich der politischen Verpflichtung durchaus bewusst sind, die sich für sie aus der Freiheit des Handels ergibt. Dies belegt u. a. das Engagement der schweizerischen Wirtschaft in Schwarzafrika» – um nur ein Zitat aus vielen anderen zu nennen.

4. Was das Auskunftsblatt «Südafrika» des BIGA 13 (Seite 4) betrifft, habe ich bereits am 13. Juli 197114 in einem Schreiben an das BIGA die Frage aufgeworfen, ob bei der Skizzierung der Apartheid-Politik nicht auch der grundsätzliche (moralische) schweizerische Standpunkt klar umrissen werden sollte, wie er anlässlich der Menschenrechtskonferenz in Teheran15 zur Geltung gebracht worden ist (Beilage Nr. 2).

Es mag Sie in diesem Zusammenhang vielleicht auch interessieren, dass zahlreiche junge Schweizer, die in Südafrika gearbeitet haben, recht kritisch nach Hause zurückkehren. (Wir liegen hier an einem der Haupt-Rückkehrwege, auf denen junge Schweizer nach einem Arbeits-Aufenthalt in Südafrika per Landrover nordwärts fahren.) Kritik an der «mangelhaften Orientierung durch die Bundesbehörden» fehlt dabei nicht.

5. Angesichts einer «sanften», indirekten Förderung des schweizerischen Engagements in Australafrika muss man sich auch die Frage der Verantwortung des Bundes unseren Landsleuten in Australafrika gegenüber stellen. Der Bund wird zudem sehr wahrscheinlich schon in nächster Zukunft zufolge der Ereignisse und des Schicksals unserer Landsleute in dieser Region, vorerst in Moçambique, dann in Angola und (nach OAU-«Fahrplan») in drei bis vier Jahren in Rhodesien, zur Kasse gebeten (vom Investitionsschutz bis zum Solidaritätsfonds).

6. Der Zeitpunkt, unsere Afrika-Politik neu zu überdenken, dürfte jetzt besonders günstig sein16. Die Entwicklung in Australafrika beschleunigt sich17. Südafrika wird unter dem zunehmenden Druck aus dem Norden gezwungen sein, auch seinerseits seine Politik Schwarzafrika gegenüber zu überprüfen, um nicht in eine noch schärfere und feindlichere Isolation zu geraten und sich – flexibler als bisher – Varianten für die Zukunft offen zu halten. In dieser Situation dürfte Südafrika vielleicht auch für eine vermehrte Ausrichtung unserer Politik auf unsere echten langfristigen Bedürfnisse Verständnis haben.

7. Wir müssen uns aber auch Rechenschaft geben, dass die Haltung der Schwarzafrikaner – vor allem in OAU und Befreiungsbewegungen18 – zufolge der Entwicklung in Australafrika auch der Schweiz gegenüber in nächster Zeit aggressiver werden dürfte. Die OAU hätte zweifellos Mittel in der Hand, um unserem Ruf – mit einem publizistischen «Kesseltreiben» – mehr Schaden zuzufügen, als sie dies bisher getan hat. Die «Hass-Liebe», die man vielerorts der Schweiz gegenüber empfindet, wäre eine geeignete Antriebskraft dazu. (Ein hoher Beamter der OAU hat mir kürzlich erklärt, dass die Schweiz, indem sie sich immer wieder auf ihre «bewährten humanistischen Traditionen» berufe und sich vor der Welt moralistisch gebe, zu einem Angriff geradezu herausfordere.)

Ich verweise abschliessend auf mein Schreiben vom 24. Juni 197419 betreffend Hilfe für afrikanische Befreiungsbewegungen und die dort angestellten Überlegungen mit bezug auf Rhodesien20.

1
Schreiben: CH-BAR#E2003A#1988/15#1508* (o.713.76). Kopie an die Politische Direktion des Politischen Departements, die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements und die schweizerische Botschaft in Pretoria. Erste handschriftliche Marginalie von F. Pictet: Très intéressant aussi pour [J. Zwahlen]. Zweite handschriftliche Marginalie von H. Strauch: n [ach]N [ew]Y [ork]und W [irschafts]- [und]F [inanz]dienst geschickt.
2
Schreiben von R. Keller an diverse Amsstellen vom 15. Juli 1974, Doss. wie Anm. 1. Für weitere Einschätzungen vgl. die Notiz von O. Rist vom 13. August 1974, dodis.ch/40308; das Schreiben von J. R. Lademann und M. Thomann an den Finanz- und Wirtschaftsdienst des Politischen Departements vom 13. August 1974, dodis.ch/40311; das Schreiben von T. Curchod an R. Keller vom 15. August 1974, dodis.ch/40309 sowie das Schreiben von M. Jost an R. Keller vom 15. Oktober 1974, dodis.ch/40316.
3
Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 1047 vom 19. Juni 1973, dodis.ch/38478; das Rundschreiben von K. Jacobi vom 16. Juli 1974, dodis.ch/38479 sowie das BR-Prot. Nr. 1393 vom 4. September 1974, dodis.ch/39360.
4
Vgl. dazu das Schreiben von R. Keller an H. Langenbacher vom 20. Juni 1973, dodis.ch/39313.
5
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 60, dodis.ch/38915 und Dok. 162, dodis.ch/38916.
6
Bericht Relations entre la Suisse et l’Afriquedu Sud von G. Rist vom Mai 1974, Doss. wie Anm. 1.
7
Vgl. dazu die Notiz von B. Godet vom 2. Mai 1975, dodis.ch/40259.
8
Centre Europe-TiersMonde: Suisse- Afriquedu Sud: relations économiques et politiques, Genf 1972.
9
Vgl. Anm. 8.
10
Schreiben von H. Langenbacher an L. Vischer vom 28. November 1972, dodis.ch/40307.
11
Ansprache von H. Langenbacher vom 1. August 1971, CH-BAR#E2001E-01#1982/58#3190* (A.15.41.10).
12
Ansprache von H. Langenbacher vom 1. August 1972, CH-BAR#E2200.70#1984/74#6* (110.511).
13
Auskunftsblatt Südafrika des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit des Volkswirtschaftsdepartements vom 1. Juni 1971, CH-BAR#E7175B#1979/157#28* (244.1).
14
Schreiben von H. Langenbacher an A. Grübel vom 13. Juli 1971, Doss. wie Anm. 1.
15
Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 80, dodis.ch/33245.
16
Vgl. dazu auch DDS, Bd. 26, Dok. 154, dodis.ch/38890.
17
Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 166, dodis.ch/38886.
18
Zur Haltung der Schweiz hinsichtlich der Teilnahme von Befreiungsbewegungen in internationalen Organisationen vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 24, dodis.ch/38891.
19
Schreiben von H. Langenbacher an R. Keller vom 24. Juni 1974, CH-BAR#E2003A#1988/15#573* (o.191.185.Uch.3).
20
Zur Problematik der Rhodesiensanktionen vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 183, dodis.ch/40605.