dodis.ch/31564
Notiz des stellvertretenden Chefs der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, R. Probst1

Besuch des türkischen Botschafters2 bei Generalsekretär Micheli vom 27. November 1964

I. Zweck des Besuches ist der Wunsch von Herrn Kural, sich über die schweizerische Ansicht zum Plan von Generalsekretär Smithers3 zu erkundigen, an der kommenden Ministerratstagung des Europa-Rates4 von anfangs Dezember in Paris die Möglichkeiten einer limitierten Kooperation mit den Oststaaten zu erörtern. Zwar bemüht sich auch die Türkei, mit den Oststaaten bilateral ein erträgliches Verhältnis aufrecht zu erhalten (vgl. kürzliche Reise des Aussenministers5 nach Moskau6). Der Versuch, der nun im Europa-Rat unternommen werden soll, stimme aber eher skeptisch. Mit dem Osten bestehe stets die Gefahr, dass auch rein technische Kontakte politisiert werden und damit im Endeffekt, falls man nicht gewisse eigene Prinzipien zu opfern gewillt ist, eher ein Rück- als Fortschritt erzielt wird. Man weiss in Ankara nicht recht, welche Haltung man einnehmen soll.

Botschafter Micheli skizziert kurz den Werdegang des Gedankens, der uns von Smithers erstmals anlässlich seines diesjährigen Besuches in der Schweiz7 näher vorgetragen wurde. Seine Pläne sind vorderhand noch sehr limitiert. Immerhin sei nicht zu vergessen, dass Europa auch die Oststaaten umfasse. Auf lange Sicht wäre es wünschbar, wenn diese Staaten nicht den Eindruck erhielten, ausserhalb unseres Kontinents zu liegen. Es besteht bei ihnen heute ein sichtbarer – wenn auch in seinen Motiven nicht immer durchschaubarer – Drang nach Kontakten mit dem Westen. Es werde sich vorderhand nur darum handeln zu prüfen, auf welchen eher beschränkten Gebieten ein Zusammenwirken ohne zu grosses politisches Risiko in Aussicht genommen werden könnte.

Der schweizerische Standpunkt zu den Ostkontakten ergibt sich aus der heute noch weiterhin gültigen Antwort von Bundesrat Wahlen auf die Interpellation Reverdin im Dezember 19618 (deren Text Herr Micheli dem Botschafter überreicht): der Vorhang sollte unserseits nicht im Moment, da die anderen ihn etwas heben, gesenkt werden; wir sollten eine Konfrontation, bei der wir keineswegs von vorneherein Verlierer zu sein brauchen, begrüssen; wir sollten auch in die Durchschlagskraft unserer eigenen Werte Vertrauen haben; bei den Intellektuellen in den Satellitenländern glauben wir eine gewisse Aufrichtigkeit ihres Wunsches nach Kontakten zu erkennen9.

Im übrigen geben auch wir uns keinen Illusionen hin, sind aber bereit, in Paris im Rahmen einer offenen Aussprache unsere Ansichten darzulegen und jene der anderen anzuhören. Doch wird man sich vor einer politischen Koordination der Ostkontakte hüten und den Anschein einer gemeinsamen Ostpolitik (nach NATO-Muster) vermeiden müssen.

II. Der ebenfalls anwesende Unterzeichnete erläutert dem türkischen Botschafter hierauf den letzten Stand der Angelegenheit Werner Vonmoos 10 (Bestätigung der Verurteilung zu 15 Jahren Freiheitsentzug). Wir möchten unter diesen Umständen, da eine neue Kassation für unseren betagten Landsmann unerträgliche Verzögerungen nach sich ziehen müsste, möglichst rasch die Rechtskraft des Urteils erwirken, um dann mit voller Kraft auf die Begnadigung loszusteuern. Wir hoffen dabei, dass das Finanzministerium in Ankara seinerseits auf eventuelle neue Kassationspläne in bezug auf Vonmoos verzichten wird. Botschafter Kural verspricht, auch selbst wieder zum Rechten zu sehen und unsere Pläne zu unterstützen, nachdem er anlässlich seines letzten Heimurlaubs u. a. schon persönlich mit Zeytinoglu, Generalsekretär bei der Präsidentschaft der Republik, der uns sehr wohlgesinnt sei, über den Fall gesprochen habe.

1
Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 1022 (B.31.22.1). Visiert von P. Micheli. Kopien an die Abteilung für Internationale Organisationen des Politischen Departements, das Integrations büro, E. Diez, H. Hess und die schweizerische Botschaft in Ankara.
2
A. Kural.
3
Vgl. Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 93 (B.15.50).
4
Zum Europarat vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 141, dodis.ch/31820, bes. Anm. 5.
5
F. C. Erkin.
6
Vgl. den Politischen Bericht Nr. 22 von R. Keller an F. T. Wahlen vom 2. November 1964, E 2300(-) 1000/716 Bd. 16 (008).
7
Vgl. Anm. 3.
8
Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 44, dodis.ch/30154, Anm. 5.
9
Zu den schweizerischen Beziehungen zu den Oststaaten vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 119, dodis.ch/31851.
10
Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 34, dodis.ch/31565, Anm. 4.