dodis.ch/15492
Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, L. von Moos, an den Bundespräsidenten, F. T. Wahlen1

Herr Georges Duplain, Redaktor der Gazette de Lausanne hat sich mit

Schreiben vom 9. November 19602 an vier Mitglieder des Bundesrates gewandt und um Stellungnahme zu den Problemen ersucht, die im Zusammenhang mit der stets wachsenden Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte für die

Schweiz entstehen3. Ich habe die Eidgenössische Fremdenpolizei angewiesen, zu den im Schreiben von Herrn Duplain aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen und beehre mich Ihnen beiliegend den Bericht der Eidgenössischen

Fremdenpolizei4 zu übergeben. Ich gehe mit der Auffassung der genannten

Amtsstelle einig, wonach es zurzeit offenbar nicht möglich ist, Herrn Duplain eine definitive Antwort zu geben. Das ganze Geschehen ist vor allem seit circa

Jahresfrist derart in Entwicklung, dass es mir zweckmässig erscheint, vorerst einmal eine Standortbestimmung vorzunehmen und zu prüfen, ob wesentliche

Grundsätze der Zulassungspolitik aufgegeben und neue Wege eingeschlagen werden müssen. Der Boden für die Beantwortung dieser Fragen soll geschaffen werden durch die im Bericht der Eidgenössischen Fremdenpolizei erwähnte Studienkommission5. Erst nachdem diese Kommission ihre Arbeit abgeschlossen haben wird, wird es möglich sein, die Lage einigermassen sicher zu beurteilen und darüber zu befinden, ob und welche neue Wege allenfalls eingeschlagen werden müssen.

Ich werde mir gestatten, in den nächsten Tagen mit Ihnen Fühlung zu nehmen um festzulegen, wie Herrn Duplain vorläufig geantwortet werden soll6.

1
Schreiben: E 4001(D)1973/125/39.
2
G. Duplain hält in seinem Schreiben fest, dass die Schweiz eine Art Neo-Kolonialismus ausübe, indem ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt würden, während die Aufnahme ihrer Familien und die Assimilierung verwehrt würde. Die Schweiz steht vor der Alternative: Ou bien nous admettons que cette main-d’œuvre nous est indispensable; il faudra alors des mesures pour l’attirer peut-être, pour la retenir, pour l’assimiler. Cela posera de nombreux problèmes pour l’équilibre de notre pays; pourrons-nous faire face à une assimilation? Ne risquons-nous pas des difficultés sur le plan confessionnel? Comment loger décemment non seulement ces travailleurs, mais leurs familles? Ou bien nous décidons que le danger de perdre nos caractéristiques nationales est trop grand; nous cherchons alors à freiner ou à contenir le nombre des ouvriers étrangers, ce qui implique un certain malthusianisme économique; nous admettons dès lors qu’il vaut mieux accepter une diminution de notre standard de vie pour rester nous-mêmes. Vgl. das Schreiben von G. Duplain an L. von Moos vom 9. November 1960, nicht abgedruckt (dodis.ch/15495).
3
Zur Frage der ausländischen Arbeitskräfte in der Schweiz vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 56, dodis.ch/9430 und DDS, Bd. 20, Dok. 45, dodis.ch/11535, 51 (dodis.ch/11536), 53 (dodis.ch/12934), 54 (dodis.ch/13237), 79 (dodis.ch/11581), 139 (dodis.ch/13238).
4
Vgl. den Bericht von E. Mäder an L. von Moos vom 22. Dezember 1960, nicht abgedruckt (dodis.ch/15496).
5
Diese Studienkommission umfasste Vertretern der Verwaltung (Fremdenpolizei und Biga), sowie der Bevölkerungs- und Wirtschaftswissenschaft, der Soziologie und kultureller Kreise. Vgl. den Bericht von E. Mäder an L. von Moos vom 22. Dezember 1960, nicht abgedruckt.
6
F. T. Wahlen empfing G. Duplain zu einem Gespräch noch vor Neujahr 1961, vgl. das Schreiben von F. T. Wahlen an L. von Moos vom 16. Januar 1961, nicht abgedruckt. Eine telefonische Rücksprache ergab, dass G. Duplain zu jener Zeit keinen weiteren Bericht von L. von Moos erwartete, vgl. die Aktennotiz A. Riesen an L. von Moos vom 13. Februar 1961, nicht abgedruckt.