Die Vertretung von US-Interessen in Kuba durch die Schweiz

«Wenn es die neutrale Schweiz nicht gäbe, müssten wir sie erfinden», äusserte sich im März 1962 ein einflussreicher Berater von US-Präsidenten John F. Kennedy gegenüber dem schweizerischen Botschafter in Washington, August R. Lindt (dodis.ch/18897, Original englisch). Diese «volle Zufriedenheit» der USA stand auch im Zusammenhang mit der schweizerischen Vertretung von US-Interessen in Kuba, die mit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Havanna im August 2015 auslief.

Interessenvertretung im «Kalten Krieg»

Es war einer der Höhepunkte des Kalten Krieges. Im Januar 1961 hatte das Aussenministerium der USA in Bern angefragt, ob die schweizerische Botschaft in Havanna fortan die diplomatischen und konsularischen Interessen der Vereinigten Staaten in Kuba zu übernehmen bereit sei (dodis.ch/15005). Vorangegangen war die Eskalation der Beziehungen zwischen der Supermacht und Fidel Castros kommunistischem Inselstaat, die sich in der Enteignung von US-Unternehmen in Kuba und einem Export-Embargo gegen Havanna manifestierte.

Kubakrise von 1962

Während der Kubakrise 1962, als die Sowjetunion Abschussrampen für Mittelstreckenraketen auf Kuba baute, schien eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Weltmächten bedrohlich nahe zu sein (vgl. e-Dossier dodis.ch/dds/1696). In dieser Krisensituation ging US-Aussenminister Dean Rusk Botschafter Lindt an, ob nicht die Schweiz «aus eigener Initiative» Fidel Castros Absichten sondieren würde (dodis.ch/19007). Schliesslich wurde der Konflikt jedoch zwischen Washington und Moskau gelöst.

Mehr als nur ein Schutzmachtmandat

Nicht nur diese Episode belegt, dass das schweizerische Mandat weit über die Wahrnehmung klassischer Aufgaben einer Schutzmacht hinausging. Es ermöglichte der Eidgenossenschaft einen privilegierten Zugang zu den massgeblichen politischen Instanzen in Havanna und Washington. Erfolgreich vermittelten die Schweizer Diplomaten etwa die Einrichtung einer Luftbrücke zwischen Varadero und Miami, über die Kubaner legal ausreisen durften (dodis.ch/34511) sowie die Unterzeichnung eines Abkommens gegen Flugzeugentführungen.

Heikle Situationen

Eine schwierige Situation ergab sich aus der Frage der Nationalisierung der früheren US-Kanzlei an der Uferpromenade Malecón im Zentrum Havannas, wo die schweizerische Interessenvertretung ihren Sitz genommen hatte (dodis.ch/30978). Als im Frühjahr 1970 gewaltsame antiamerikanische Manifestationen stattfanden, schienen Schweizer Diplomaten unmittelbar bedroht. Erst nach mehreren Interventionen auf hohem Niveau konnte die Situation entschärft werden (dodis.ch/34500).

Süsse Entschädigungszahlungen

Nicht nur die Beziehungen zwischen Washington und Bern erhielten durch die Interessensvertretung auf Kuba eine Aufwertung. Auch die bilateralen Beziehungen zum kommunistischen Karibikstaat profitierten davon. So konnte etwa 1967 vertraglich eine Entschädigung für Betriebe der Nestlé AG erzielt werden, die im Zuge der kubanischen Revolution 1960 verstaatlicht worden waren. Die Schulden wurden in Form von Zuckerlieferungen an den Schweizer Nahrungsmittelkonzern abbezahlt (dodis.ch/32269).

Ein Béret von Fidel Castro

Zwischen dem «Máximo Líder» und Botschafer Emil Stadelhofer, der zwischen 1961 und 1966 Postenchef auf Kuba war, entwickelte sich sogar ein eigentliches Vertrauensverhältnis (dodis.ch/40943). Teilweise suchte Castro Stadelhofer noch in später Nacht zu Gesprächen in der Residenz auf (dodis.ch/18933). Bei einem offiziellen Empfang überreichte Fidel Castro 1964 in Anwesenheit «der Crème de la Crème der kubanischen Revolution» dem Schweizer Diplomaten in Anerkennung seiner Dienste als persönliches Geschenk gar das olivgrüne Béret seiner Uniform (dodis.ch/30888).