Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 118
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#447* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 74 | |
Dossier title | Frauenstimmrecht (1960–1965) | |
File reference archive | 170.6 |
dodis.ch/31459
Sehr geehrte, liebe Frau Meier2,
Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie auf einem Gebiete, das Ihnen so sehr am Herzen liegt, derart enttäusche, wie das in Ihrem Brief vom 3. XI.3 zum Ausdruck kommt. Sie müssen allerdings falsch informiert worden sein. Während der September-Session sagte ich in einem Fernseh-Interview mit 3 Nationalräten ganze 3 Sätze zu Gunsten des Frauenstimmrechtes4, – in einer Sendung, die fast eine halbe Stunde dauerte. Da kann man kaum von einer Propagandarede sprechen, und noch weniger davon, ich hätte etwas aus dem Zusammenhang gerissen und aufgebauscht, denn ich beantwortete nur eine Frage.
Nun bin ich allerdings ein Anhänger des Frauenstimmrechtes. Sie fragen warum? Nun, ganz einfach weil ich es nicht als recht empfinde, dass die Frauen vom Tragen der Mitverantwortung ausgeschlossen sein sollen, währenddem jeder männliche Bürger, auch wenn er nur ein Dubel ist, mit der Stimm- und Wahlkarte mitreden kann. In den letzten Jahren, d. h. besonders seitdem ich das Politische Departement leite, kommt dazu noch ein besonderer Grund. Durch die Berichte meiner Botschaften5, durch das Lesen der ausländischen Presse, durch Gespräche mit wichtigen Besuchern weiss ich, in welchem Masse das Fehlen des Frauenstimmrechtes und die Ausnahme-Artikel dem Ansehen unseres Landes abträglich sind6. Da nützt alles Erklären unserer besonderen Verhältnisse nichts. Nachdem ich 17 Jahre im Ausland verbrachte7, und immer und immer wieder auf diesen Punkt angesprochen wurde, und nachdem ich nun als «Aussenminister» diese Erfahrungen in hohem Masse bestätigt finde, darf ich mir wohl ohne Anmassung ein Urteil zumuten.
Nun hoffe ich allerdings sehr, diese rein sachliche Differenz werde unserer Freundschaft nicht abträglich sein. Man darf doch in guten Treuen verschiedene Standpunkte vertreten, und ich gebe ohne weiteres zu, dass auch die Gegner des Frauenstimmrechts gute Gründe namhaft machen können. Das gilt namentlich für die verheirateten Frauen. Viel schwerer ist es, einzusehen, warum berufstätige, ledige Frauen, die ihre Steuern bezahlen wie die Männer, nicht auch etwas über die Verwendung der öffentlichen Mittel sollten mitreden können.
Nun, wir werden wohl beide auf unserem Standpunkt bleiben, und das schadet auch nichts. Ein alter französischer Spruch sagt: «La démocratie, c’est la discussion», und ein weiterer: «de la discussion jaillit la vérité». Setzen wir also das Gespräch fort, aber bleiben wir Freunde!
Mit herzlichen Grüssen, Ihr F. T. Wahlen
- 1
- Schreiben (Abschrift des handschriftlichen Originals): E 2804(-) 1971/2 Bd. 74 (170.6).↩
- 3
- Schreiben von H. Meier an F. T. Wahlen vom 3. November 1965, dodis.ch/31467.↩
- 4
- Fernsehinterview vom 10. Oktober 1965, vgl. dazu Doss. wie Anm. 1.↩
- 5
- Vgl. dazu z. B. das Schreiben von P. Dupont an W. Jaeggi vom 1. Dezember 1966, dodis.ch/31464.↩
- 6
- Zur Problematik des fehlenden Frauenstimmrechtes im Zusammenhang mit der europäischen Menschenrechtskonvention und dem Ansehen der Schweiz im Ausland vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 141, dodis.ch/31820; die Notiz von E. Mottier an L. von Moos vom 29. November 1962, dodis.ch/31471; die Notiz von B. Dumont vom 4. November 1964, dodis.ch/31470; die Rede von F. T. Wahlen an der Botschafterkonferenz vom 15. September 1965, dodis.ch/30811; die Notiz von F. T. Wahlen vom 15. Dezember 1965, dodis.ch/31472 sowie die Notiz von F. H. Andres an F. T. Wahlen vom 28. Juli 1965, dodis.ch/31572.↩
- 7
- F. T. Wahlen war in den 1920er Jahren in Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden und Kanada beruflich tätig, von 1949 bis 1959 war er Direktor der Abteilung für Landwirtschaft der FAO in Washington und Rom.↩
Relations to other documents
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